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„Inscha allah“ – es wird gut gehen, so Gott es will

Ein Stralsunder Lehrerpaar lebt und arbeitet in Kairo.

André Koll hupt nur kurz. Dann zwängt er sich mit seinem Geländewagen ganz links am Mittelstreifen an einem Kleinbus vorbei. Er wechselt in die Mitte der dreispurigen Straße, wird rechts von einem klapprigen Ford überholt, der sofort nach ganz links rüberzieht. Vier bis fünf Autos zwängen sich nebeneinander hupend auf eine Kurve zu. Es wird eng. Da ist noch Platz für das Auto des Deutschen. Der Lehrer André Koll ist in der ägyptischen Hauptstadt Kairo auf dem Weg zur Arbeit. Es geht nur im Schritttempo voran, Menschen zwängen sich durch die Automassen. Die Kurve ist geschafft, dann kurz Gas geben. Ein Laster gibt den Blick frei, ein alter Mann trippelt noch über die Straße, er schaut in Richtung des Geländewagens, André Koll beobachtet ihn genau. „Inscha allah“ – es wird gut gehen, so Gott es will. Wenn beide auf sich achtgeben.

Seit viereinhalb Jahren leben und arbeiten Karen und André Koll in Kairo. Sie unterrichten Sport und Geschichte an deutschen Schulen. Karen an der Deutschen Evangelischen Oberschule. Die Stralsunderin unterrichtet ägyptische Mädchen und Jungen und gut zehn Prozent deutsche, österreichische und Schweizer Jugendliche. Die Hälfte aller Schüler sind Muslime. André ist vom Hansa-Gymnasium an die Deutsche Schule der Borromäerinnen (katholische Ordensgemeinschaft), gewechselt. Er steht vor ausschließlich Mädchen, hälftig muslimisch und anderen, vor allem katholisch-orthodoxen (koptisch), Religionsgemeinschaften angehörend. Unterrichtet wird an beiden Schulen nach dem Baden-Württembergischen Lehrplan in deutscher Sprache mit einer stärkeren Hinwendung zu ägyptischen Themen. Die Mädchen und Jungen, die aus der ägyptischen Oberschicht kommen, beginnen ihre Schullaufbahn mit drei Jahren in einem deutschen Kindergarten mit Ziel deutsches Abitur. „Unsere Schüler sind sehr strebsam. Sie wollen lernen“, sagt André Koll und so sieht auch der Unterricht aus: Disziplinprobleme gibt es nicht. Die Eltern der Schüler wollen, dass ihre Kinder deutsche Werte vermittelt bekommen. Oft haben sie selbst eine deutsche Schule besucht. Mit dem deutschen Abitur stehen den jungen Ägyptern alle Wege offen. Sie können sich weltweit bewerben und werden an Universitäten bevorzugt immatrikuliert. Allerdings gibt ein kein Zurück. Wer einmal an eine deutsche Schule ist, muss dort bleiben. Eine Abstufung an ägyptischen Schulen ist unmöglich und wäre für die Familien eine Schande.
„Nach Kairo zu gehen, war die beste Entscheidung unseres Lebens“, sagt Karen Koll. Trotz des chaotischen Straßenverkehrs in Kairo? Trotz des Drecks, der staubigen Stadt, der Lärmbelästigung? Und trotz des täglichen Staus? „Daran wird man sich nie gewöhnen können“, so die Lehrerin, die in Stralsund an der Diesterweg-Schule unterrichtete. „Aber es gibt mehr hier. Die Menschen sind überaus freundlich. Wenn man jemanden anlächelt, kommt ein Lächeln zurück. Kriminalität gibt es praktisch nicht“, erzählt sie. Dennoch sind in Kairo wundersame Dinge zu beobachten. Im ständig hupenden Chaosverkehr regt sich niemand auf. Wenn die U-Bahn hält, stürzt sich eine riesige Menschenmasse in die Türen, die Aussteigenden werden schon irgendwie rauskommen. Menschen springen auf fahrende Busse auf und gleichzeitig springen andere ab. Bei einem Unfall zweier Autos mit Blechschaden wird kurz debattiert und dann geht es weiter. Liegengebliebene Autos werden mitten im größten Verkehr repariert – da wo die Kiste kaputt gegangen ist. André Koll lacht: „Das scheint egoistisch. Aber sie meinen es nicht so. Man kann den Ägyptern vertrauen. Inscha allah – es wird schon.“

Das Lehrerpaar erlebt gemeinsam mit seinen Kollegen aus Deutschland und dem deutschsprachigen Raum täglich Neues, Unerwartetes. Immer wieder zieht es sie hinaus in die Wüste. Die Sahara ist gleich um die Ecke. „Wir sind manchmal zwei drei Tage in der Wüste unterwegs. Unser Zelt haben wir auf dem Auto. Es ist einfach faszinierend, ursprünglich. Wie viel Facetten die Wüste hat – und diese Ruhe“, schwärmt Karen Koll. „Wir haben auch schon viel vom Land gesehen. Wenn wir können, reisen wir“, fügt André hinzu. Die beiden nutzen auch die Heimfahrten nach Deutschland für ausgiebige Touren. So haben sie unter anderem Jordanien, Syrien, Tunesien und die Türkei kennengelernt. Besonders schwärmen sie von der Oman. Auch im Alltag versuchen sich Karen und André Koll Höhepunkte zu schaffen. Als Fachschaftsleiterin Sport organisiert Karen den Pyramidenlauf im März jeden Jahres. Das ist der größte ägyptische Volkssportlauf mit über Tausend Teilnehmern. André Koll hat an der Ausstellung „In Tut’s bandages“ im Ägyptischen Museum in Kairo mitgewirkt. Ein Kollege hat sich von den Amuletten des Pharaonen Tutanchamun zu Kunstdrucken inspirieren lassen und André Kolls Schülerinnen haben den geschichtlichen Hintergrund geliefert. „Es ist einfach wunderbar in dieser geschichtsträchtigen Region Geschichte zu unterrichten. Wenn es um die Pyramiden geht: sie stehen nicht weit von uns entfernt“, ist André Koll begeistert.

Und wenn es dann nach Deutschland zurück geht, kommt da Freude auf? „Ja“, antworten beide sofort. „Wir freuen uns auf Deutschland. Wir werden hier zwar einiges vermissen, doch wir sehen auch unsere Heimat anders. Wir freuen uns auf den deutschen Straßenverkehr, den Wald und auf die pünktlich kommenden Handwerker. Wir haben hier viel kennengelernt. Wir kommen damit zurecht. Und wir haben eine ganz andere Einstellung zu den Muslimen und zum arabischen Raum bekommen. Jetzt wollen wir noch die restliche Zeit hier nutzen und dann in Deutschland Neues angehen“, sagt André und Karen nickt bestätigend. „Inscha allah“ – es wird gut gehen, so Gott es will.
Der alte Mann ist übrigens heil über die Straße gekommen. Der ägyptische Fußgänger und der deutsche Autofahrer haben auf sich aufgepasst. Nur so geht es. In Kairo tagtäglich.

Aus Kairo: FRANK BURGER für die Lokalredaktion der OZ in Stralsund